Unzumutbares Arbeitsverhältnis: LAG Köln spricht 70.000 € Abfindung zu
Wenn das Betriebsklima so toxisch wird, dass Gesundheit und Würde dauerhaft beeinträchtigt sind, kann das Arbeitsverhältnis rechtlich unzumutbar werden – und zwar auch ohne Kündigung durch den Arbeitgeber. Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 9. Juli 2025 (Az. 4 SLa 97/25) einer Arbeitnehmerin in einem solchen Fall rund 70.000 Euro Abfindung zugesprochen.
Der Fall in Kürze
- Die Klägerin war etwa 4,5 Jahre bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt; ihr monatliches Bruttoentgelt stieg von ca. 4.500 € auf zuletzt 7.744,75 €.
- Der Geschäftsführer schickte ihr per WhatsApp sexistische und entwürdigende Nachrichten. Unter anderem: Vorschläge für kurze Kleidung oder High Heels bei Kundenterminen; Aufforderung „nichts unter dem Rock anzuziehen“.
- Als sie ablehnte, folgten Beleidigungen, Drohungen mit Repressalien (z. B. Entzug von Sachbezügen wie Dienstwagen und Tankkarte, Rückforderung von Geschenken) und schließlich die Kündigung.
- Die Arbeitnehmerin entwickelte unter dem Verhalten eine posttraumatische Belastungsstörung; sie meldete sich krank.
Entscheidung des LAG Köln
- Das Gericht stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis für die Klägerin unzumutbar geworden war (§ 9 KSchG), also dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar war.
- Die Kündigung war rechtswidrig. Aber wegen der Unzumutbarkeit musste das Beschäftigungsverhältnis aufgelöst werden.
- Abfindung: Gewährt wurden zwei Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr, was in diesem Fall zu etwa 68.153,80 € führte. Dieser Betrag liegt deutlich über dem üblichen halben Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr. Gründe für die Abweichung: erhebliche Herabwürdigung, psychische Belastung, sozialwidriges Verhalten seitens des Arbeitgebers.
Wesentliche rechtsrechtliche Leitsätze & Implikationen
- Unzumutbarkeit ist ein starker Kündigungsgrund – auch wenn die Arbeitnehmerin selbst nicht gekündigt hat: Sie kann das Arbeitsverhältnis durch gerichtliche Entscheidung auflösen lassen, wenn Gesundheit und Würde dauerhaft verletzt sind.
- Sexuelle Belästigung / Entwürdigung: Aussagen und Verhalten können – selbst unter dem Deckmantel von „familiärem Umgang“ – so schwerwiegend sein, dass sie arbeitsrechtliche Folgen haben.
- Repressalien als Faktor: Drohungen, Rückforderungen (Dienstwagen, Geschenke etc.) sind nicht nur moralisch bedenklich, sondern können das gesamte Vertragsverhältnis unzumutbar machen.
- Höhe der Abfindung kann deutlich über dem üblichen Rahmen liegen, wenn zusätzliche Verschlechterungen (psychische Erkrankung, erhebliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen) vorliegen.
Bedeutung für Arbeitnehmer
- Wer sich in einer Lage befindet, in der Arbeitsverhältnis, Verhalten der Führung oder das Betriebsklima stark entwürdigend sind, sollte prüfen, ob eine unzumutbare Situation vorliegt.
- Dokumentation ist entscheidend: Nachrichten, Aussagen, Verhalten, ggf. medizinische Gutachten oder Atteste.
- Nicht zögern, rechtliche Schritte zu prüfen – Ansprüche auf Abfindung oder Auflösung durch das Gericht sind möglich.
Bedeutung für Arbeitgeber
- Führungskräfte sollten sich bewusst sein: Auch vermeintlich „leichter Umgang“ kann ernsthafte rechtliche Konsequenzen haben, besonders bei Aussagen zu Kleidung, Körper, Sexualität etc.
- Verhalten gegenüber Mitarbeiter muss gerecht, respektvoll und professionell sein – dauerhafte Kränkungen oder Entwürdigungen sind riskant.
- Abmahnungen oder Hinweise zur Verbesserung des Verhaltens können helfen, bevor die Situation eskaliert.
- Arbeitgeber sollten Feedback ernst nehmen und auf Beschwerden reagieren, evtl. Mediation, Arbeitspsychologie oder Compliance-Maßnahmen prüfen.
Fazit
Das Urteil des LAG Köln macht klar: Unzumutbarkeit ist kein leerer Begriff – es gibt Grenzen, wie weit ein Arbeitsverhältnis gehen darf. Wenn der Arbeitgeber diese überschreitet, kann er zur Kasse gebeten werden – personell, finanziell und reputationsmäßig.
Übrigens! Wir beurteilen gerne Ihren Fall.
Wenn Sie ein Arbeitsverhältnis haben, in dem Sie sich missachtet fühlen, oder als Arbeitgeber sichergehen wollen, dass Ihre Mitarbeiter respektvoll behandelt werden:
- Wir prüfen, ob eine unzumutbare Situation in Ihrem Einzelfall vorliegt,
- beraten zu Strategien der Deeskalation oder Umstrukturierung,
- und unterstützen bei der Durchsetzung bzw. Abwehr von Ansprüchen.